|
Roulette Lexikon - Computer im
Spieleinsatz
(K.v.Haller's Roulette Lexikon, S.74
bis 76)
In seinem Buch The Newtonian
Casino schildert Thomas Bass die abenteuerliche Geschichte einer
Studentenclique aus der kalifornischen Universitätsstadt Santa Cruz,
die Ende der siebziger Jahre beschlossen hatte, mit wissenschaftlicher Raffinesse
das Spielerglück herbeizuzwingen.
Norman Packard, ein 23jähriger Physiker, hatte nach der Lektüre
des Bestsellers Beat the Dealer eine Karriere als
Blackjack-Spieler begonnen. In dem Anfang der sechziger Jahre erschienenen
Buch erläuterte Edward Thorp, seinerzeit Wissenschaftler am Massachusetts
Institute of Technology, wie er mit Hilfe eines IBM-Computers eine
Siegesstrategie für das Kartenspiel Black-Jack entwickelt hatte.
1975 wollte Packard die Profis in den Casinos von Las Vegas schlagen, wurde
aber dort angeblich übers Ohr gehauen. Beim Nachdenken
über die Schlappe kam dem Physiker die Idee, statt der Karten die
Roulettekugel auszutricksen: Nimm Newtons Gesetz und die richtigen
Ausgangsdaten, überlegte Packard, und alles ist nur klassische
Physik.
Mit einem versteckten Tonbandgerät und einem verborgenen Mikrophon zog
Packard durch die Casinos und schnitt unbemerkt das Rollen und Fallen der
Kugeln in die Roulettekessel mit. Als er die Daten vom Tonband auf
Millimeterpapier übertrug, fand der Physiker seinen Verdacht
bestätigt: Die Kugeln fielen nicht nach einem Zufallsmuster in die
Zahlenfelder, sie folgten vielmehr einem womöglich berechenbaren
Ordnungsprinzip.
Packard diskutierte seine Beobachtungen mit einem Jugendfreund, der 1973
an der kalifornischen Stanford University sein Physik-Examen abgelegt hatte
und sich fortan in die verwickelte Mathematik der Galaxien-Bildung vertiefte.
Der Physiker war von den Daten sofort fasziniert und erkannte in dem vermeintlich
chaotischen Zufallstreiben des Kugelspiels eine immer deutlichere Ordnung.
So erwarben sie einen professionellen Roulettekessel, den sie mit einem Netz
von Drähten umgaben, die Meßinstrumente, Sensoren, Fotozellen,
eine elektronische Uhr und eine Kamera für Hochgeschwindigkeitsaufnahmen
miteinander verbanden.
Mit ein paar eingeweihten Freunden studierten die jungen Wissenschaftler
die Rolleigenschaften von Kugeln unterschiedlicher Materialien und untersuchten
den Luftwiderstand auf den rotierenden Ball. Farmer tüftelte sodann
mathematische Gleichungen aus, die den physikalischen Ablauf des Roulettespiels
beschreiben sollten - von dem Moment an, da die Kugel die Hand des Wurfcroupiers
verläßt, bis zum dem Zeitpunkt, da sie in einem Zahlenfeld zur
Ruhe kommt.
Bis zum Sommer 1976 hatte Farmer erkannt, daß als Einflüsse 5
Parameter ausreichen, um den Lauf der Kugel ausreichend genau zu bestimmen.
Sein Formelsystem - verhieß dem Spieler silide Chancen - für jedes
Einsatzstück bis zu 44% Gewinn.
Am Computer des Physik-Instituts feilte sein Partner Doyne an Rechenprogrammen,
die aus seinen Gleichungen und Parametern - wie der Geschwindigkeit der Kugel
und dem Neigungswinkel des Kessels - Voraussagen ermöglichten. Denn
der mutmaßliche Ausgang des Spiels mußte eher festgestehen, als
der natürliche Lauf der Kugel dauert, der 10 bis 20 Sekunden in Anspruch
nimmt.
Mit seinem Freund Packard und dem kongenialen Physikerkollegen James Patrick
Crutchfield entwarf und baute Farmer innerhalb von drei Jahren aus einer
Hand voll Chips und elektronischem Zubehör verschiedene Roulettecomputer
in der Größe einer Zigarettenschachtel. Im Januar 1978 wagte Farmer
mit einer abenteuerlichen Ausrüstung von Drähten, Batterien und
Vibratoren am Körper den ersten Einsatz im Casino Golden Gate
in Las Vegas.
Über einen Zehenschalter im Schuh stoppte er die Geschwindigkeit der
Kugel und fütterte den Computer mit den Angaben wie dem Neigungswinkel
des Kessels. Der Computer antwortet dem Spieler via Vibrator: er sagte voraus,
in welchen 1/8 Sektor des Zahlenkreuzes die Kugel mutmaßlich fallen
würde. Die Technik hatte Erfolg: schon nach wenigen Coups konnte Farmer
beachtliche Treffer erzielen. Nach 20 Minuten allerdings soll es Störungen
gegeben haben. Der Vibratorstift verhakte sich in der Magnetspule, der Magnet
erhitzte sich auf dem Bauch des Spielers. So rannte Doyne mehrmals zwischen
Toilette und Spieltisch hin und her, hatte aber nach viereinhalb Stunden
Spiel gleichwohl die Bank besiegt. Ich hatte bewiesen, triumphierte
der Physiker, daß ich an einen unbekannten Rouletteisch gehen,
die Parameter einstellen und das Haus schlagen konnte.
Während die amerikanischen Casinos mit ihrem 38iger Roulette (36 Nummern
und neben Zero noch Doppelzero) dem Spieler bei jedem Einsatz im Schnitt
5,26% abnehmen, hatte Farmer einen Vorsprung von mehr als 25% verschaffen
können.
Insgesamt achtmal suchte dei Santa-Cruz-Gruppe die Spielerstädte South
Lake Tahoe, Reno und Las Vegas heim und spielten einige tausend Dollar ein.
Aber das ganz große Abkassieren konnte nicht glingen, ohne daß
man einen Minicomputer für den Schuh hätte bauen müssen. Das
Tüftler-Trio Packard, Farmer und Crutchfield schied für diese Aufgabe
aus: Die ehrgeizigen Akademiker wollten nicht laänger Hunderte von Stunden
für das Roulette -Projekt opfern. An der Uni hatten sie ihre
Roulettebesessenheit seit 1977 in seriöse Forschung umgesetzt. Die intensive
Beschäftigung mit dem scheinbar chaotischen Roulette, dazu das Basteln
an immer neuen Computern, hatte die Physiker zu Pionieren einer damals noch
jungen Physik-Disziplin gemacht - der Chaos-Forschung. Gemeinsam mit ihrem
Freund Robert Shaw erwarben sich die drei Roulette-Strategen rasch den Ruf
brillanter Chaos-Forscher.
(Quelle: DER SPIEGEL
30/91)
|
|